Upcoming Events Autumn 2022

  • September, 19-21st: 2022 Cambridge AHRC International Conference HYBRIDITY, St Catherine’s College, Cambridge, UK.
  • October, 13-15th: Workshop of the doctoral program “Regimes of Inequality. Past and Present”, Fribourg, Switzerland.
  • November, 03-05th: Annual Conference of the German Labour History Association, Museum der Arbeit, Hamburg, Germany.
  • December, 13th: Kolloquium zur Global- und Verflechtungsgeschichte, Bielefeld, Germany.

Veranstaltungen im November 2021

Ich freue mich sehr im November im Rahmen dreier Veranstaltungen erstmalig über mein Dissertationsvorhaben sprechen zu dürfen. Alle Vorträge finden digital statt und sind für Interessierte nach vorheriger Registrierung geöffnet. Kontaktieren Sie mich gerne um weitere Informationen zu erhalten.
Die Grafiken können per Klick zur besseren Ansicht vergrößert werden.

1) Opening Conference: The (Re-)Production of Social Inequalities – Global Contexts and Concepts of Labour Exploitation am 11. und 12.11.2021

For registration, please send an e-mail to: contact-socialinequalities@uni-koeln.de.

2) 13. Kolloquium zur Geschichte der Arbeitswelten und der Gewerkschaften am 22.11.2021

For registration, please send an e-mail to stefan.mueller@fes.de.

3) Kolloquium des Historischen Seminars der Universität zu Köln am 30.11.2021

Erinnerungsarbeit. Gedanken zu Sophie Scholl in meinem Instagramfeed.

Fallbeispiel 1, Februar 2021: Weiße Menschen mit Nazihintergrund empören sich ob der Feststellung einer Tatsache.

Als die Künstlerin Moshtari Hilal und der*die politische Geograf*in Sinthujan Varatharajah im Februar diesen Jahres in einem Instagram-Live Gespräch mit ihren Follower*innen über die Kontinuitäten von ideologischem und materiellem Nazierbe sprachen, führten sie die Bezeichnung Menschen mit Nazihintergrund ein. Diese Umkehr des Begriffs „Menschen mit Migrationshintergrund“ sollte dabei die sonst unmarkierte Leerstelle der weißen Mehrheitsgesellschaft aufzeigen und keine rein geografische, „sondern eine historische, ökonomische und ideologische [Frage], die im Kontext der Geschichte dieses Landes zu verorten ist“, beantworten, so Varatharajah (Monecke 2021). Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie Unternehmen und deren Erben auch heute von im Nationalsozialismus erworbenen Besitztümern profitieren und wie mit diesem Kapital umgegangen wird.
Dass der damit angeregte Einschluss „sogenannte[r] ganz normale[r] Bürger*innen in die Geschichte“ von eben diesen als Provokation aufgefasst und umgehend in einer reißerischen Hetzkampagne des deutschen Feuilletons auf dem Rücken der Aktivist*innen ausgetragen wurde, zeigt den dringenden Bedarf nach genau dieser Art von Diskussion nur umso deutlicher. Mit ihrem kritischen Einwurf zur deutschen Geschichte und der Erinnerungskultur an den Nationalsozialismus haben Hilal und Varatharajah einen immens wichtigen Beitrag zum Diskurs geleistet und sind als nicht-weiße Menschen mit Flucht- und Asylhintergrund infolgedessen zur Zielscheibe von rassistischen Diffamierungen und Gewalt geworden (Monecke 2021). Die Reaktionen auf ihren Impuls haben gezeigt, dass die Annahme, nur bestimmte weiße Personen hätten ein Anrecht auf die Mitgestaltung der Erinnerungsdebatte, verbreitet ist.

Fallbeispiel 2, Mai 2021: Ich schaue Sophie Scholl beim Semesterstart zu. Menschen mit Nazihintergrund sind vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen.

Ich bin geschichtsbegeistert und Historikerin dazu, und konsumiere täglich diverse Social Media-Formate. Natürlich erfahre ich früh von der am 04. Mai 2021 gelaunchten Instagram-Kampagne @ichbinsophiescholl. Eine grundlegende Abneigung gegen historische Dokumentationen, die zur besseren Inszenierung Schauspieler*innen einbeziehen, lässt mich den Account nur kurz betrachten und mich gegen ein Abonnement entscheiden. Ich finde Reenactment als Stilmittel zur Vermittlung von historischen Inhalten keineswegs verwerflich, es trifft nur einfach nicht meinen Geschmack.
In den darauffolgenden Tagen wächst die Reichweite des Accounts merklich, mehrere Freund*innen berichten davon, ich sehe das Gesicht der Schauspielerin Luna Wedler überall und selbst die Tagesschau schickt mir eine Pushmitteilung mit Werbung für das Projekt. Spätestens der letzte Punkt verdeutlicht mir, dass hier in großem Rahmen eine gebührenfinanzierte Erinnerungskampagne entstanden ist.

Erinnerung an wen eigentlich genau?

Meine Auseinandersetzung mit der Person Sophie Scholl war bisher eher gering, aber natürlich kenne ich die vielen Geschwister-Scholl-Schulen, habe viel Zeit auf dem Platz der Weißen Rose in Freiburg verbracht und weiß, dass Hans und Sophie Scholl für die Verteilung von Flugblättern hingerichtet wurden. Ich kenne Sophies Gesicht von Fotografien, die mir jetzt, nachgestellt, wieder auf Instagram begegnen. Sophie Scholl ist schon vor der Instagramkampagne eine wichtige Projektionsfigur in der deutschen Erinnerungslandschaft. Inzwischen lese ich auf Instagram und Twitter auch die ersten kritischen Stellungnahmen zum Projekt. Der Publizist und Lyriker Max Czollek verweist beispielsweise auf Sophie Scholls langjährige BDM-Mitgliedschaft und äußert den für mich sehr wichtigen Gedanken, dass nur einer weißen, christlichen und bürgerlichen Person ein derartiger Raum in der deutschen Erinnerungslandschaft eingeräumt werden könne. Kollektives Gedenken an jüdische Widerstandsakteur*innen oder kommunistischen Gruppen, wie z.B. das Netzwerk Rote Kapelle, findet nicht statt.
Aus einem Interview mit drei Biograph*innen von Sophie Scholl erfahre ich von den unterschiedlichen Narrativen der Scholl’schen Lebenserzählung, die im Verlauf der Nachkriegszeit angenommen und verbreitet wurden. Deutlich tritt dabei der widersprüchliche Zusammenhang zwischen Familiengedächtnis und historischem Quellenmaterial hervor. Erst nach dem Tod Inge Scholls, der Schwester von Hans und Sophie, die den Nachlass verwaltete, konnten beispielsweise die Bisexualität von Hans Scholl oder auch Sophies langjährige glühende Begeisterung für Adolf Hitler öffentlich thematisiert und erforscht werden (Weyrosta 2021). Inzwischen hat sich meine anfängliche Sorge, diese Aspekte könnten auch im Social-Media-Projekt unausgesprochen bleiben, als falsch, bzw. falsch ausgerichtet, herausgestellt. Die historische Beratung des Projekts, die von der Historikerin Maren Gottschalk geleistet wurde, scheint zumindest hier wirksam gewesen zu sein (SWR 2021b): Am 06. Mai erzählt Sophie uns von Hans‘ Anklage unter §175 und bekommt dafür knapp 100.000 Likes. Vor sieben Stunden (Stand 16.05.) teilte sie unter den Hashtags #selbstreflexion und #vergangen einen kurzen Text zu ihrer Zeit beim BDM, der von einem historischen Foto jubelnder Kinder mit Hakenkreuzfahnen begleitet wird. Mir zeigt sich, dass das Problem nicht in der Ausradierung bestimmter biographischer Details liegen wird, sondern stattdessen in der Vermittlung bzw. dem Framing.

„Jede*r macht mal Fehler, Sophie!“

Unter den verschiedenen Social-Media-Formaten bietet Instagram mit seinem stark visuellen und emotiven Charakter einen besonderen Rahmen für die Darstellung von Erinnerung (Lohmeier 49). In einem Forschungsaufsatz zum Einsatz von Instagram als Medium der Erinnerungskultur beschreiben die Historiker*innen Christine Lohmeier, Christian Schwarzenegger und Maria Schreiber die Vorteile und Fallstricke, die sich daraus ergeben. Je nach Gestaltung bietet Instagram die Möglichkeit, historische Inhalte außerhalb der klassischen bildungsbürgerlichen Medienformate zu transportieren und somit besonders Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene niederschwellig zu erreichen. Zur Steigerung eben dieser Wirksamkeit und Social-Media-Authentizität wurde sich im Fall Sophie Scholls für eine aufwendig produzierte Darstellung aus Bild- und Videosequenzen entschieden, die alle typischen Instagram-Formate wie Beiträge, Storys, Reels und IGTV abdecken (Lohmeier 52; SWR 2021c).
Darüber hinaus – und hier wird es hochproblematisch – tritt die Figur Sophie Scholl mit ihren Follower*innen in Kontakt. Dieser aus werbepsychologischer Sicht nur allzu logische Schritt bringt in der Umsetzung von historischen Stoffen jedoch große Probleme mit sich. Die bewusst „radikal subjektive“ Erzählung Sophies (SWR 2021c) muss an dieser Stelle mit dem Versuch der Bewahrung von historischer Authentizität brechen. Das historische Subjekt Sophie Scholl kann nicht mit uns interagieren. Während die bis zum 22.02.2022 vorgeskripteten Bild- und Videoinhalte zu einem gewissen Maße durch Recherchen und Drehbücher gelenkt werden können, kann nicht vorausgesehen werden, wie die Follower*innenschaft die Inhalte aufgreift. So fand das am 15.05. gepostete Zitat „Manchmal bin ich versucht, die Menschheit als eine Hautkrankheit der Erde zu betrachten“ neben einigen kritischen Stimmen beispielsweise auch viel Zustimmung. Eine kurze Recherche zeigt, dass die Aussage tatsächlich aus einem Brief Sophie Scholls vom 22.05.1940 stammt (Hartnagel 2006). Eine historische Einordnung bleibt aus, genauso wie die bedeutende Unterscheidung, ob eine Aussage in einem privaten Brief oder als zusammenhangloser Instagrampost geäußert wird. Das verfälscht. In den Kommentaren zum Posting sammelten sich u.a. Aussagen des ökofaschistischen Spektrums, die bisher keine Rückmeldung von Sophie bekamen. Auf kritische Nachfragen und die Bitte um eine Moderation wurde bis dato nicht eingegangen. An anderen Tagen kommentierte sie oft mit „Inspirierend [Blümchen-Emoji]“, bedankte sich für Geburtstagsglückwünsche oder gibt Modetipps. Aber, erinnern wir uns, heute ist ja auch Sonntag und Sophie vielleicht beschäftigt, ihr letzter Storybeitrag ist vier Stunden her. Sicher muss sie für die Uni lernen.
An anderer Stelle, wie beispielsweise dem Posting zur Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädel vom 16.05., zeigen die Kommentare außerdem, mit welcher Dankbarkeit User*innen die vermeintliche Interaktion mit einer Zeitzeugin nutzen, um das eigene Gewissen zu entlasten. Sophie schwappen solidarische Zusprüche und Kalenderweisheiten wie „Verzeihe dir selbst, dann hast du die Kraft dich neu zu erschaffen [Herz-Emoji]“, „Kinder sind unbeschriebene Blätter… [Trauriger Emoji] [Herz-Emoji]“ oder „Fehler macht jede/r. Die Kunst besteht darin, die eigenen Fehler zu erkennen und daraus zu lernen“ entgegen. Manche berichten auch aus dem eigenen Familiengedächtnis: Von Opas, deren „schönste Zeit“ im Leben die Hitlerjugend war, über Omas, die die Freizeit im BDM genossen, bis hin zur eigenen Person, die beispielsweise eine rechte Partei wählte und erst später zum Sinneswandel kam, ist alles dabei.  Wenn selbst eine Nationalheldin wie Sophie Scholl – und ja, als solche wird sie spätestens durch diese Kampagne inszeniert – Fehler machen kann, ist die eigene familiäre Nazivergangenheit ja auch nur noch halb so schlimm.

Das Eis ist sehr dünn, Sophie.

Auch wenn mir darüber hinaus viele Gesichtspunkte des Projekts stilistisch missfallen, ist die vom Produktionsteam getroffene Entscheidung, mit den Nutzer*innen zu interagieren, der Dreh- und Wendepunkt, der das Projekt @ichbinsophiescholl meiner Meinung nach zu einer tickenden Zeitbombe macht. Das gewählte Format verlöre seine Vorteile und die gewünschte Social-Media-Authentizität, wenn Sophie aus der Rolle fiele und plötzlich moderierend auftreten würde. Der „radikal subjektive“ Ego-Bericht einer historischen Figur auf Instagram funktioniert nur in persona. Auf welcher Quellen- und Entscheidungsgrundlage diese Subjektivität beruht und wer über sie entscheidet, bleibt allerdings vollkommen schleierhaft. Zu keinem Zeitpunkt ist den Nutzer*innen bewusst, welche Äußerungen oder Entscheidungen historisch belegt oder fiktiven Ursprungs sind. Der Tauschhandel einer grundlegenden Quellenkritik gegen eine höhere Social-Media Authentizität wird nicht erst dann gefährlich, wenn die Kommentator*innen in antisemitische, rassistische und geschichtsrevisionistische Sphären driften. Ich sehe das Ziel, einen aufklärenden Beitrag zur deutschen Erinnerungskultur an den Nationalsozialismus zu leisten, schon dann als verfehlt an, wenn eine historische Figur von der Mehrheitsgesellschaft als Projektionsfläche und Rechtfertigungsgrundlage für eigene Fehler und eine mangelnde Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus benutzt wird. Dabei ist nicht einmal den einzelnen User*innen ein Vorwurf zu machen, die das Format aufgreifen und mit Sophie interagieren. Wenn ein solches finanziell unglaublich kostspieliges Projekt – leider konnte ich hierzu keine Angaben finden – vom öffentlichen Rundfunk produziert und umfassend beworben wird, kritisiere ich vielmehr die politische Intention dahinter.
Falls es bis hierhin noch nicht deutlich wurde: Erinnerungskultur ist Teil von Geschichtspolitik. Wer sich wann wessen aus welchen Gründen erinnert, ist auch eine politische Frage. Dass sich die Konsument*innen des staatlich beworbenen Projekts mit einer weißen, christlichen jungen Frau, die nach langjähriger Begeisterung für den NS zwar später im Widerstand aktiv war und dafür hingerichtet wurde, sich aber niemals explizit gegen Antisemitismus aussprach, erinnern soll, sagt einiges über den Staat, dessen Gesellschaft und den Stand der Entnazifizierung und bewussten Aufarbeitung der Vergangenheit aus. Es geht mir dabei weder um eine Verteufelung der historischen Figur Sophie Scholl, noch um einen Boykott der Social-Media-Kampagne @ichbinsophiescholl. Beide sind nur Sinnbilder und Spiegelfolien für eine Gesellschaft, die nicht entnazifiziert wurde und Einladungen zur Scheinerinnerung dankend annimmt, um das eigene Gewissen zu beruhigen.

Und jetzt? We have to do better, for fuck’s sake.

Seit mehreren Jahren recherchiere ich meine eigene Familiengeschichte. Der Ursprung der intensiven Beschäftigung damit lag in einer Veranstaltung, die ich im Zuge meines Geschichtsstudiums an der Universität Freiburg besuchte. Unter dem Titel „Nationalsozialismus und (die eigene) Familiengeschichte“ setzten wir uns ein Semester lang mit Memoiren von Täter*innen, Kriegskindern, Verfolgten und deren Nachfahren auseinander und gruben uns parallel dazu in unsere eigenen Dachböden, Fotokisten, Feldpostbriefe und Archivrecherchen. Am letzten Seminartag präsentierten wir die Ergebnisse und tauschten uns über die gemachten Erfahrungen aus – ich habe selten mehr, sowohl intellektuell als auch emotional, in einem Kurs gelernt als dort.
Ein nach wie vor wichtiger Impuls für die Auseinandersetzung mit eben diesem Thema wurde 2002 von den Historiker*innen Harald Welzer, Sabine Moller und Karoline Tschuggnall publiziert. „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis bespricht die Ergebnisse von über 142 Interviews aus „ganz normalen Familien“ und weist dabei eindrücklich nach, dass der Holocaust in fast allen Fällen keinen systematischen Platz im Familiengedächtnis, das nur in der Kontinuität seiner Vergegenwärtigung besteht, einnahm. Die Vermischung verschiedener Tradierungstypen wurde auch in der anhaltenden Trennung zwischen „den Deutschen“ und „den Nazis“ deutlich. Wer verstehen möchte, warum Hilal und Varatharajahs Vorschlag, von Menschen mit Nazihintergrund zu sprechen, über den offensichtlichen blanken Rassismus hinaus eine solche Gegenwehr erfuhr, findet bei Welzer et al. einen ersten Erklärungsansatz.
Ich begreife inzwischen, wie es zu den vielen widerständischen Held*innengeschichten kommt, die mir von teils guten Freund*innen über ihre Familien im NS erzählt wurden. Die emotionale Einbezogenheit in den Erinnerungsprozess der eigenen Familie führt zu einer Dissonanzerfahrung, der mit rein faktischem Wissen über den Holocaust nicht ausreichend entgegengewirkt werden kann. Denn in meinem mehrheitlich weißen, mehrheitlich christlich sozialisierten Umfeld der Mittelschicht ist man sich sicher: die Nazis (aus den Geschichtsbüchern) waren böse, keine Frage.  – Aber die (Ur-)Großeltern? Damals war das halt so. Man war ja auch einer Gefahr ausgesetzt. Das Gemeinschaftsgefühl und die tollen Naturausflüge von HJ und BDM hätten uns als Kindern schließlich auch gefallen. Und am Ende kam eh der böse Russe, der ja sowieso am allerschlimmsten war. Genau dies spiegelt sich auch in den Kommentaren unter Sophie Scholls Instagram-Postings, wobei der Altersdurchschnitt der aktiven User*innen meinem Eindruck nach über der anvisierten Zielgruppe von Kindern und Jugendlichen (SWR 2021a) liegt.
Ich erkenne die Muster, die Abwehrmechanismen und das unangenehm stechende Gefühl, auf eine eigene Befangenheit hingewiesen zu werden. Ich kann den Wunsch, eine heile Familienerzählung aufrechterhalten zu wollen, nachvollziehen. Weder möchte ich generationelle Traumata, die auch auf Täter*innenseite vererbt werden können, kleinreden, noch den Eindruck vermitteln, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte ein angenehmer, schmerzfreier Prozess sei, der mal eben so erledigt werden könnte. Aber, liebe Mitmenschen mit Nazihintergrund, we have to do better. Die fiktive Sophie Scholl, die den Newsfeed von knapp 858.000 Follower*innen auf Instagram bewohnt (Stand: 16.05.21), als ausreichenden Beitrag zur persönlichen NS-Aufarbeitung und -erinnerung zu verkaufen, reicht nicht aus – nicht auf gebührenfinanzierter Seite, nicht auf der Ebene der User*innen. Ich wünsche mir ehrliche Gespräche über die eigenen Familienerfahrungen, ohne dafür gelobt zu werden und Lorbeeren zu ernten, weil wir uns diesem tragischen Kapitel der deutschen Geschichte stellen. Man profiliert sich nicht mit einem Nazihintergrund, auch wenn er Generationen zurückliegt. Die Auseinandersetzung ist bitternotwendig, aber keine Held*innentat. Ich glaube allgemein, dass wir für lange Zeit keine Held*innenfiguren mehr in der deutschen Geschichte benötigen.

P.S.: Auch am Montagmorgen, der inzwischen angebrochen ist, noch nichts Neues von Sophie.


Quellen:

Editiert am 11.06.21: Die historische Beratung erfolgte ausschließlich durch Maren Gottschalk und nicht, wie zuvor an dieser Stelle geäußert und vom SWR genannt, zusätzlich durch Barbara Ellermeier.